Kärntner Slowenin Maja Haderlap gewinnt Bachmann-Preis

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arcalis
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Jul 2011 11 09:37

Kärntner Slowenin Maja Haderlap gewinnt Bachmann-Preis

Ungelesener Beitrag von arcalis

SPIEGELonline:

Maja Haderlap gewinnt Bachmann-Preis
:liebesbrief:

Es ist einer der wichtigsten Literaturpreise im deutschsprachigen Raum: Die Kärntner Slowenin Maja Haderlap hat den Ingeborg-Bachmann-Preis erhalten. Die Jury tat sich schwer mit der Entscheidung - sie fiel erst im vierten Wahlgang.

Heimspiel in Klagenfurt: Die Kärntner Slowenin Maja Haderlap hat den Ingeborg Bachmann-Preises 2011 gewonnen. Sie setzte sich mit einem ruhigen, poetischen Auszug aus ihrem Roman " Engel des Vergessens" beim Wettlesen in Klagenfurt gegen 13 weitere Nachwuchshoffnungen aus Deutschland, Österreich und der Schweiz durch. Der bei Wallstein erschienene Roman ist von kommender Woche an im Handel erhältlich.

Die 1961 geborene und in Klagenfurt lebende Autorin beleuchtet in ihrer Dorf- und Familiengeschichte den Widerstand der Kärntner Slowenen gegen die deutsche Wehrmacht. Haderlap habe der Geschichte der Kärntner Partisanen eine Stimme gegeben, begründete Jurorin Daniela Strigl, die sie für den Wettbewerb vorgeschlagen hatte, ihre Wahl. "Sie beschreibt es bedächtig, mit großer Genauigkeit und ohne Hass", sagte Strigl.

Der Umgang mit der slowenischsprachigen Minderheit in Österreichs südlichstem Bundesland Kärnten sorgt immer wieder für Schlagzeilen. Erst in der vergangenen Woche einigten sich die Parteien im Parlament nach jahrzehntelangem Streit auf eine Regelung zur Aufstellung zweisprachiger Ortstafeln.

Die österreichisch-slowenische Vergangenheit sei zwar historisch, aber bislang kaum literarisch aufgearbeitet worden, sagte Strigl. Haderlap sei ein "Glücksfall". "Das sind Geschichten, die mich mein ganzes Leben begleitet haben", sagte die Gewinnerin, die auf Deutsch und Slowenisch schreibt, in einer ersten Reaktion. Sie sei damit aufgewachsen.

Haderlap erhält ein Preisgeld von 25.000 Euro und kann auf eine große Karriere hoffen: Die nach der österreichischen Dichterin Ingeborg Bachmann (1926-1973) benannte Auszeichnung gilt als einer der wichtigsten Literaturpreise im deutschsprachigen Raum. Seit seiner Gründung 1977 verhalf der Bachmann-Preis Gewinnern wie Ulrich Plenzdorf, Uwe Tellkamp oder Tilman Rammstedt zu großem schriftstellerischem Erfolg.
Leicht war der Jury 2011 die Wahl nicht gefallen: Haderlap setzte sich erst im vierten Wahlgang gegen den Deutschen Steffen Popp durch. Der in Berlin lebende Autor erhielt dann aber für seine Spurensuche in einem thüringischen Dorf den mit 10.000 Euro dotierten Kelag-Preis.
Der mit 7500 Euro dotierte 3sat-Preis ging an die junge deutsche Autorin Nina Bußmann. Zuschauerliebling war der Berliner Thomas Klupp mit seinem unterhaltsamen Text "9to5 Hardcore", in dem es um Pornografie und den Universitätsbetrieb geht. Er erhielt den Publikumspreis.
Glückwunsch! :klatschend:
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Jul 2011 14 10:58

Re: Kärntner Slowenin Maja Haderlap gewinnt Bachmann-Preis

Ungelesener Beitrag von arcalis

Hier mal eine nähere Beschreibung der Preisträgerin und auch des preisgekrönten Buches.
volksgruppen.orf.at

Der Roman erinnert an Verdrängtes

Am Sonntag hat sie den 35. Ingeborg-Bachmann-Preis gewonnen, gestern begann die Auslieferung von Maja Haderlaps erstem Roman "Engel des Vergessens". Die 50-jährige Kärntner Slowenin schreibt in ihrer Autobiographie gegen das Vergessen und Verdrängen an.


Zugleich eine Biographie der Kärntner Slowenen
Die Schilderung ihres Lebens ist untrennbar verwoben mit der jüngeren Geschichte der Kärntner Slowenen und des Partisanenkampfes gegen die Schergen Hitlers. Es ist kein leichtes Buch, dazu ist das Thema zu schwer, aber Haderlap gelingt es, völlig ohne Pathos und ohne Wehleidigkeit auszukommen.

"Ein Meer mit Überresten und Bruchstücken"
Welchen Belastungen die heute 50-jährige Maja Haderlap ausgesetzt war, durch den Umgang mit der komplizierten Vergangenheit ihrer Familie und ihrer Volksgruppe, zeigt der vorletzte Absatz: "Der Engel des Vergessens dürfte vergessen haben, die Spuren der Vergangenheit aus meinem Gedächtnis zu tilgen. Er hat mich durch ein Meer geführt, in dem Überreste und Bruchstücke schwammen. Er hat meine Sätze auf dahintreibende Trümmer und Scherben prallen lassen, damit sie sich verletzen, damit sie sich schärfen. Er hat die Engelbildchen über meinem Kinderbett endgültig entfernt. Ich werde diesen Engel nicht zu Gesicht bekommen. Er wird keine Gestalt haben. Er wird in den Büchern verschwinden. Er wird eine Erzählung sein."


Endlich in Sicherheit gebracht
Maja Haderlaps Roman ist zuallererst ein großartiges Buch, ein bemerkenswertes Werk. Es ist aber auch ein Dokument geworden, ein Dokument eines Abschnitts der Kärntner Geschichte, mit dem sich niemand ernsthaft auseinandersetzen wollte. Die Kärntner Slowenen haben unter der Nazizeit mehr gelitten als der Großteil der übrigen Bevölkerung. Sie haben gegen die Diktatur gekämpft, gedankt wurde es ihnen kaum, und in der Kärntner Geschichtsschreibung kommt ihr Beitrag nicht vor. Jetzt kommt er vor, jetzt haben jene, die in die Wälder gingen, um für die Freiheit zu kämpfen, Namen und Gräber, und sind damit vor dem Engel des Vergessens in Sicherheit gebracht worden.
Ein Auschnitt aus dem Buch "Engel des Vergessens":
Ein kleines Mädchen in einem Graben nahe Bad Eisenkappel/ Železna Kapla in Südkärnten...
Archaisch geht es zu auf dem Bauernhof, wo eine sehr katholische Mutter, eine Großmutter, die die Verschleppung ins Konzentrationslager überlebt hat und ein Vater, der von seinen ganz persönlichen Dämonen getrieben wird, dem Kind Eindrücke vermitteln. Eindrücke über Ausgrenzungen aufgrund der Sprache, über die Opfer, die der Partisanenkrieg gefordert hat, über Leben und Tod. Das alles kommt völlig unprätentiös daher, in einer klaren, sehr poetischen Sprache. Haderlap dokumentiert ihre Ängste, ihre Neugier und ihre Versuche, den Vater zu verstehen, der normalerweise nichts von dem preisgeben will, was er seit dem Krieg, wo er noch als Kind schon zu den Partisanen gehört hatte, in sich verschlossen trägt. Der sogenannte Ortstafelsturm von 1972 - und die Reaktionen der Betroffenen - findet ebenso seinen Niederschlag wie die Schwierigkeiten der Opfer der NS-Zeit, wenigstens eine Rente vom Staat zu erhalten. Der Umgang mit dem Tod, der ein häufiger Gast im Graben von Leppen/ Lepena war, ist für das Mädchen ein ständiger Begleiter. Und immer wieder die Großmutter, die auch nach ihrem Tod ein wichtiger Bezugspunkt bleibt. Nicht von ungefähr endet das Buch mit einem Traum der Autorin, in dem ihre Großmutter wieder auftaucht.
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Re: Kärntner Slowenin Maja Haderlap gewinnt Bachmann-Preis

Ungelesener Beitrag von slofreund

Ich gratuliere
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Aug 2011 03 16:16

Re: Kärntner Slowenin Maja Haderlap gewinnt Bachmann-Preis

Ungelesener Beitrag von arcalis

Auch der Spiegel würdigt das Buch der Preisträgerin als Roman des Monats. Respekt!
Spiegel.online:

Mit dem Grauen weiterleben

In ihrem grandiosen Dedütroman erzählt Bachmann-Preisträgerin Maja Haderlap von der Unfähigkeit einer Familie, sich den Gewalterfahrungen aus der Nazi-Zeit zu stellen.

Maja Haderlaps "Engel des Vergessens"

Manchmal sind Autoren derart stark auf die wahrhaftige Beschreibung ihres Gegenstands fixiert, dass schon kleine erzählerische Kniffe erfreuen: als augenzwinkernde Erholung von der Tortur des wahrhaftig starren Blicks. Und manchmal eröffnen solche Drehs eine unerwartet neue Perspektive; ganz selten aber entsteht etwas daraus, das dem Gegenstand des Erzählens widersteht: als poetische Selbstbehauptung. Um Wahrhaftigkeit geht es auch Maja Haderlap in ihrem autobiografischen Romandebüt, das von den verheerenden Folgen der Naziverbrechen für ihre Familie und die Slowenen in Kärnten erzählt. Doch ihren Versuch, das altböse Trauma zu bannen, eröffnet sie mit einem Trick, der mindestens seit Tausendundeiner Nacht die Neugier auf das geheimnisvoll Unbekannte weckt.


"Großmutter gibt mir ein Zeichen mit der Hand, ich solle ihr folgen", beginnt die Erzählerin, und was sie dann das Mädchen, das sie einmal war, wahrnehmen lässt, gleicht dem Besuch in einer traumhaft fernen Wirklichkeit, die das Kind schützend umgibt. Es ist alles da auf diesem kleinen Hof im Nachkriegskärnten: die Wiesen der Talsenke, der muntere Elan des Vaters, die stille Sensibilität der frommen Mutter, die geheimnisvoll starke Großmutter und ihr Wissen um jene übernatürlichen Kräfte, die sie dem Zwielicht der Vernunft und des Walds mit seinen Geistern verdankt. Dann das Vieh, die Katzen und die Überfülle der Gerüche, im Stall, in der Räucherkammer, der Küche. "Ich stehe in einem Dunstschleier aus Behaglichkeit", heißt es einmal, und so redet natürlich kein Kind.

Denn wie sich die Erzählerin zu Anfang des Großmutter-Winks bedient, um den Leser zum folgsamen Eintritt in den Roman aufzufordern, so setzt sie sich anschließend gleichsam auf die Schultern ihrer eigenen Mädchengestalt, um die Wiederbegegnung mit der verlorenen Kindheit zu beobachten: Ein verdoppelter Blick prüft eine Welt, die schmerzhaft vertraut scheint und zugleich zutiefst befremdet, und ihm entspricht eine einfache, hoch konzentrierte Sprache, die nicht der Dynamik des Schreibflusses vertraut, sondern skrupulös wägt, stockt, kurze Sätze setzt. Ihre Zurückhaltung steht im eklatanten Widerspruch zum lebensfrohen Schein des Zuhauses, hinter dem sich das Familienunheil verbirgt.

Je bilo udno. Bereits der erste slowenische Satz des Buches kündet vom Grauen: "Es war befremdend", sagt die Großmutter, als sie der Enkelin erstmals von jenem fernen Ort namens Ravensbrück erzählt, zu dem sie von den Nazis verschickt wurde. Dass die alte Frau ihr Leiden - und das vieler Sloweninnen aus der Gegend - im KZ nicht als grozno beschreibt, als "schrecklich", fällt der Erzählerin erst rückblickend auf, und aus dieser Diskrepanz zwischen Umschreibung und Benennung des Unrechts entsteht die Skepsis der erwachsenen Tochter gegenüber der Anstrengung ihrer Familie, mit dem Grauen weiterleben zu wollen. Es ist eine Skepsis, die sich befreien will aus dem Netzwerk der Melancholie und zugleich der Trauer über die Verluste gerecht werden möchte.

Das Buch bildet eine ungeheure Anstrengung ab, die nicht verhindern kann, dass fast alle Bilder kippen. Nur wenige Gesten bleiben. So beiläufig der Wink der Großmutter war, so kostbar ist er der Erzählerin geworden. Aber Wald? Eine Hölle, in der die Partisanen gejagt wurden wie Wild. Der Schwung des Vaters? Eine verzweifelte Selbstmotivation, mit der dieser Mann, den die Nazis als Zwölfjährigen strangulierten, die permanenten Selbstmordgedanken zu verdrängen sucht. Die eigene Nachsicht, Duldsamkeit? Vielleicht ein Ausdruck des Selbstverleugnung angesichts des kollektiven Leids, der Unzahl an Selbstmorden in der Umgebung. Und die Heimat? Ist die Fremde.

Dieser generellen Erfahrung der Moderne gewinnt Maja Haderlap eine konkrete politische Dimension ab, wenn sie knapp, aber deutlich die Außenwahrnehmung der Kärntner Slowenen als Fremdkörper auf deutschsprachigem Boden skizziert. Dass die Nachrichten vom Bachmann-Preis, den die Klagenfurterin im Juni für ein Kapitel aus diesem außergewöhnlichen Romans erhielt , mit "Heimspielsieg" überschrieben waren, bekommt vor diesem Hintergrund einen seltsam ironischen Klang.
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